1. Bewegungsanalyse als Basis der Methodik von
Sportunterricht und Training

Projektleiter: Prof. Dr. Klaus Wiemann

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Definition und Abgrenzung:

Der im Folgenden benutzte Begriff „Bewegungsanalyse“ oder „Sturkturanalyse einer Bewegung“ bzw. Analyse einer sportmotorischen Fertigkeit bezieht sich streng auf die Analyse derjenigen Bewegungsmerkmale, die ein sich Bewegender im Laufe der Bewegung („am eigenen Körper“) erfährt. Deshalb müsste konsequenter Weise der Begriff „eigenmotorische Bewegungsanalyse“ oder „Eigenmotorikanalyse“ verwendet werden.

„Bewegungsanalyse“ meint nicht die Analyse derjenigen Bewegungsmerkmale, die ein Beobachter beim Betrachten der Bewegung einer anderen Person, eines Filmes oder einer Bildreihe erfährt; denn in diesem Fall fehlt eine entscheidende Merkmalskategorie, nämlich die Anstrengungskomponente.

Bildreihen (auch die im folgenden benutzten) können somit nur als Anhaltspunkt für räumliche und zeitliche, nicht aber für dynamisch-eigenmotorische Bewegungscharakteristika dienen.

 

Kurzcharakterisierung des Projektes:

Der Zusammenhang von Bewegungswahrnehmung, Bewegungsvorstellung und Bewegungsauslösung (Abb. 1; s. Projekt mit dem Kurztitel „Sportmotorik„) verlangt, dass zur Gestaltung lehrmethodischer Maßnahmen der Lehrgegenstand (die sportmotorische Fertigkeit) nach eigenmotorischen Kriterien zu analysieren ist. Dieser Forderung liegt der folgende Begründungsstrang zugrunde:
Die Mechanismen von
– Antizipation,
– ideomotorischem Gesetz und
– Neukombination der Bewegungsvorstellung
reichen aus, das Phänomen des motorischen Lernens sportlicher Fertigkeiten zu beschreiben:
– Wenn sich vor der äußeren Realisierung einer motorischen Fertigkeit die sensorischen Konsequenzen der Fertigkeit (=Bewegungswahrnehmung) im Bewusstsein als Bewegungsvorstellung vorweg bilden lassen (=Antizipation),
– wenn außerdem die Bildung der Bewegungsvorstellung gesetzmäßig nach äußerer Realisation der zugehörigen Bewegung drängt (=ideomotorisches Gesetz), die Bildung der Bewegungsvorstellung gleichsam den Auslöser zur Programmierung und Realisierung der korrespondierenden Bewegung darstellt,
– dann sollte es möglich sein, durch die (cerebrale) Bildung einer möglichst kompletten Bewegungsvorstellung einer neu zu erlernenden Fertigkeit (=Neukombination der Bewegungsvorstellung) und deren Antizipation den zugehörigen äußeren Ablauf zu realisieren. analy.1 Abb. 1: Funktionsschema zur eigenmotorischen Wahrnehmung und Vorstellung

Somit kann das Lehren motorischer Fertigkeiten als ein Bilden neuer Bewegungsvorstellungen im Schüler gewertet werden, indem der Lehrende seine eigene eigenmotorische Vorstellung von der zu lehrenden Fertigkeit analysiert und geeigente Lehrmaßnahmen plant und durchführt, was im Schüler das Entstehen der korrekten eigenmotorischen Vorstellung von der zu erwerbenden Fertigkeit zur Folge hat (Abb. 2), auf deren Basis der Ablauf der motorischen Fertigkeit erfolgen kann.

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Abb. 2: Funktionsschema zur Stellung der eigenmotorischen Analyse im Lehr- und Lernprozess
 

Soll dieser Wirkungszusammenhang gelingen, sind mehrere Bedingungen zu berücksichtigen:
1. Die neu zu kombinierende Bewegungsvorstellung muss sich aus Segmenten der eigenmotorischen Vorstellungen schon beherrschter Fertigkeiten und/oder aus Vorstellungen zu motorischen Grundmustern (Elementaraktionen, motorischen Invarianten) zusammenstellen lassen.
2. Die „Nahtstellen“ in der Neukombination der Vorstellungssegmente müssen einen möglichst reibungslosen Übergang ineinander garantieren.
3. Die neu zu kombinierende Bewegung muss die biomechanische Situation angemessen berücksichtigen, d.h., der Lernende muss die physischen Möglichkeiten zur Realisation der Bewegung besitzen. Das zugeordnete Vorgehen in der Lehrplanung setzt als Routinestrategie gemäß den oben genannten Bedingungen voraus, dass der Lehrplanende (Lehrer, Trainer)
– die ihm eigene Bewegungsvorstellung von der zu erlernenden Fertigkeit nach motorischen Elementarinvarianten (Elementaraktionen) analysiert,
– unter Berücksichtigung des Fertigkeitsniveaus des Lernenden diejenigen Elementar-Aktionen identifiziert, die im Lernprozess einer besonderen Aufmerksamkeitszuwendung seitens des Lernenden bedürfen, d.h., diejenigen Elementaraktionen herausfiltert, die zum Zwecke der Neukombination in ihrer Raum-Zeit-Charakteristik anzupassen sind,
– die Lehranweisungen (visuellen und/oder verbalen Instruktionen) derart gestaltet, dass es dem Schüler gelingt, die geforderte Bewegungsvorstellung zu entwerfen,,
– in der Dimensionierung der Lernschritte die Aufnahmekapazität des
Lernenden berücksichtigt,
– in der Auswahl der methodischen Prinzipien und der Lernhilfen das biomechanische Umfeld der Fertigkeit und die physischen Möglichkeiten des Lernende respektiert, damit sich im motorischen Gedächtnis des Schülers keine Vorstellungsinhalte „einnisten“, die nicht Teil des eigenmotorischen Vorstellungsbildes der zu erlernenden Fertigkeit sind.
(siehe dazu: Grundlagen lehrmethodischer Maßnahmen)

Die Ausgangsmaßnahme zu diesem lehrmethodischen Vorgehen, das auf der eigenmotorischen Kompetenz des Lehrplaners (d.h. der Verfügbarkeit der eigenmotorischen Vorstellung zu der zu erlernenden Fertigkeiten im Lehrer) aufbaut, die Beweungsanalyse, wird als dynamisch-eigenmotorische Bewegungsanalyse bezeichnet.

Das Ergebnis der dynamisch-eigenmotorischen Bewegungsanalyse, das Analysebild, gibt die eigenmotorische Struktur, d.h., die Kopplung der Bewegungselemente (Bewegungsakte) nach räumlichen, zeitlichen und dynamischen Kriterien wieder.

Das nachfolgende Beispiel analysiert aus dem Bewegungsablauf der Rolle rückwärts in den Handstand 20 Bewegungsakte und charakterisiert diese nach räumlichen (blau), zeitlichen (grün) und dynamischen (rot) Merkmalen.

analys.schema

Detaillierter Bericht:
Die aus dem obigen resultierenden Details werden in drei Abhandlungen besprochen:

1. Strukturanalyse und Aktionsanalyse sportmotorischer Fertigkeiten.

Es werden die Verfahren, Möglichkeiten und Grenzen der räumlich-zeitlichen Strukturanalyse und der dynamisch-eigenmotorischen Aktionsanalyse spotmotorischer Fertigkeiten an diversen Beispiel (Hitch-Kick-Technik beim Weitsprung, „Schleudern“ an den Ringen u.a.) dargestellt und diskutiert.

2. „Physikalisches Wissen, neurophysiologische Einsichten und eigenmotorische Kompetenz – Voraussetzungen sportmethodischen Planens“

– Am Beispiel der Rückenstoßtechnik im Kugelstoßen und der Rolle rückwärts in den Handstand am Boden werden biomechanische Funktionsanalysen und eigenmotorische Aktionsanalysen praktiziert,
– die neuronalen Abläufe bei der mentalen Planung, der äußeren Realisation und der begleitenden Wahrnehmung und anschließenden mentalen Auswertung behandelt,
– die Bedeutung der Übertragung der Bewegungswahrnehmung in verbale Zeichen und die Konsequenzen auf die Auswahl und Abfassung der Bewegungsanweisung diskutiert,
– Regeln zur Portionierung von Lernschritten aufgestellt,
– die Anwendung von methodischen Prinzipien besprochen.

3. Lehr-/Lernprogramm zum Handstützüberschlag rückwärts (Flickflack)

Ein nach den vorstehenden Regeln abgefasstes Lehrprogramm wird vorgestellt.

 

siehe auch:
— Die eigenmotorischen Kompetenz des Sportlehrers
— Forschungsprojekt Sportmotorik:

— — Bewegungswahrnehmung und Bewegungsvorstellung [pdf-Datei, 1,5 MB]
— — Rhythmus im Sport

 

Publikationen zum Projekt:

WIEMANN, K. (1977): Strukturanalyse und Aktionsanalyse sportmotorischer Fertigkeiten. Sportwissenschaft, 3, S.230-246. [download]

WIEMANN, K. (1979): Analysen sportlicher Bewegungen. Thema: Sport. Bd. 8, Düsseldorf: Bagel, S.1-31.

WIEMANN, K. (1987): Neue Ergebnisse der Hirnforschung und ihre Bedeutung für die Theorie des motorischen Lernens und die methodische Planung. In: ADL (Hrsg.): Sport. Planen – Durchführen –  Auswerten. X. Kongreß für Leibeserziehung, 1. – 4. 5. 1986 in Kiel. Schorndorf: Hofmann. S. 232.

WIEMANN, K. (1988): Physikalisches Wissen, neurophysiologische Einsichten und eigenmotorische Kompetenz – Voraussetzungen sportmethodischen Planens. In: CZWALINA, C.: Methodisches Handeln im Sportunterricht. Schriftenreihe zur Praxis der Leibeserziehung und des Sports, Bd. 200. Schorndorf: S.88-116. [download]

WIEMANN, K. (1989): Zum Phänomen der Bewegungsvorstellung aus hirnbiologischer Sicht. Saarbrücker Kongreß im Januar 1988. In: DAUGS/LEIST/ULMER (Hrsg.): Motorikforschung aktuell (dvs-Protokolle Nr. 35). Clausthal- Zellerfeld: Oberharzer Druckerei. S. 116-203. [download]

WIEMANN, K. (1989): Zur eigenmotorischen Kompetenz des Sportlehrers als Voraussetzung sportmotorischen Planens anhand von Beispielen aus dem Gerätturnen. In: KÖPPE / KOTTMANN (Hrsg.): Integration von Theorie in die Sportpraktische Ausbildung (dvs-Protokoll Nr. 39): S.58-68. [download]

WIEMANN, K./OELGART, D. (1989): Zur Legitimation der Eigenmotorik in der Sportlehrerausbildung. In: Lehrerausbildung in Wuppertal. Eine Informationsschrift der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal, S.269-275. 

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