Die Physiologie der Muskeldehnung ist wesentlich bestimmt durch die Myofibrillen die - bei einer Dicke von rund 1µm - in Längsrichtung durch die gesamte Muskelfaser verlaufen. Speziell die Wirkung des Strukturprotein Titin sorgt für die Elastizität und Stabilität des Muskels, und ist auch verantwortlich für seine Ruhespannung.
Definitionen
Beweglichkeit
Beweglichkeit ist die Fähigkeit, Bewegungen mit einer gewissen Schwingungsweite ausführen zu können. Aus funktionell-anatomischer Sicht liegen der motorischen Beweglichkeit die Gelenkigkeit sowie die Dehnfähigkeit zu Grunde.
Gelenkigkeit
Als Gelenkigkeit bezeichnet man die individuelle Ausprägung der Schwingungsweite in den Gelenken. Sie ist anatomisch-strukturell bedingt und variiert von Gelenk zu Gelenk. Die Gelenkigkeit ist eine durch die Konstitution geprägte körperliche Eigenschaft. Die knöchernen Strukturen des Bewegungsapparats sowie die unelastischen Gelenkbänder sind durch Training kaum beeinflussbar - und der Versuch sollte zur Vermeidung von Gelenkinstabilität nicht unternommen werden.
Dehnfähigkeit
Dehnfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit der Muskeln und Faszien, sich zu dehnen und eine größtmögliche Bewegungsamplitude zu ermöglichen.
Die Dehnbarkeit (Muskeldehnfähigkeit) eines inaktiven Muskels wird geprägt durch die Nachgiebigkeit der Muskel-Sehnen-Einheit gegenüber äußeren dehnenden Kräften. Diese ermöglichte dem Stütz- und Bewegungsapparat die von der Gelenkigkeit gegebenen Grenzen der Gelenkreichweiten auszuschöpfen. Der vom gedehnten Muskel abgegebene Dehnungswiderstand (Muskeldehnungsspannung, passive Muskelspannung) steigt mit zunehmender Gelenkreichweite quasi-exponentiell.
Die Dehnbelastungsfähigkeit (Dehnungsschmerz-Toleranz) ergibt sich aus der Bereitschaft Versuchsperson, den im gedehnten Muskel auftretenden Dehnungsschmerz zu ertragen. Diese Fähigkeit ist Abhängig von Gewohnheit und Übung.
Die Ruhespannung (passive Spannung, Dehnungsspannung) ist der Widerstand den ein relaxierter Muskel einer äußeren dehnenden Kraft (z.B. Schwerkraft, Trägheitskräfte) entgegensetzt.
Begriffe
Neutral-Null-Position (NNP): aufrechter Stand mit herabhängenden Armen.
Ein Muskel ist ...
- gedehnt (kurzfristig in einer gedehnten Ausrichtung) wenn sich das zugehörige Gelenk gegenüber der NNP in einer erweiterten Reichweite befindet.
- entdehnt (kurzfristig in einer entdehnten Ausrichtung) wenn sich das zugehörige Gelenk gegenüber der NNP in einer verminderten Reichweite befindet.
- entspannt (relaxiert, passiv, ruhend) wenn er auf Grund fehlender neuronaler Ansteuerung keine aktive Spannung (= Kontraktionskraft) erzeugt.
- angespannt (kontrahiert, aktiv, erregt) wenn er auf Grund neuronaler Ansteuerung eine Tendenz sich zu verkürzen (aktive Spannung = Kontraktionskraft) entwickelt.
Hinweis: Ob ein Muskel in all seinen Muskelfasern völlig entspannt ist, lässt sich von außen zweifelsfrei nur durch Elektromyographie bestimmen.
Text mdoifiziert nach: Wiemann, K. (1991): Beeinflussung muskulärer Parameter durch ein zehnwöchiges Dehnungstraining. In: Sportwissenschaft 3, S. 295-306.
Literatur
- Hoster, M.: Die Bedeutung der Muskeldehnung für vorausgehende bzw. nachfolgende Kraftbelastungen. In: Binkowski, H. / Huber, G.: Muskeltraining in der Sporttherapie (1989), 121- 130.
- Klee, A. (1995), Methoden und Wirkungen des Dehnungstrainings. Die Ruhespannungs- Dehnungskurve - ihre Erhebung beim M. rectus femoris und ihre Veränderung im Rahmen kurzfristiger Treatments. Habilitationsschrift. Schorndorf: Verlag K. Hofmann.
- Wiemann, K. (1994), Beeinflussung muskulärer Parameter durch unterschiedliche Dehnverfahren. In M. Hoster & H.-U. Nepper (Hrsg.), Dehnen und Mobilisieren (S. 40-71). Waldenburg: Sport Consult.